Die „Atlas-Initiative“ des Markus Krall – Neoliberale, die die Krise des eigenen Systems nicht verstehen können.
Normalerweise wären die folgenden Zeilen nicht nötig. Wir stecken seit rund drei Jahrzehnten in einer permanenten Krise des Kapitalismus und jeder aufmerksame Zeitgenosse weiß darum. Weil sich aber in den vergangenen Jahren und vor allem in den letzten Monaten die Zunahme von öffentlich wahrnehmbaren Verlautbarungen der Marktradikalen mehrt und leider die Gefahr besteht, dass Protestpotential von
diesen gebunden wird, möchten wir an dieser Stelle einem derzeit im Netz omnipräsenten Vertreter und seiner Initiative etwas entgegenschreiben.
Was ist über Krall und seinen Verein bekannt?
1. In Punkten der Wirtschaftspolitik und dem Verständnis der Staatsrolle vertritt man Positionen, die man fast deckungsgleich bei den im Bundestag vertretenen Parteien, mit Ausnahme vielleicht beim tatsächlich linken Flügel der Partei -Die Linke- , findet. Alle sind Anhänger eines „freien Markt“-Prinzips, einer liberalen Vorstellung des von Eigeninteressen geleiteten Menschen als „Homo oeconomicus“. Der Staat hat sich ihrer Vorstellung nach auf seine Kernaufgaben zu beschränken: nämlich Recht und Ordnung durchsetzen und das freie Spiel des Marktes zu gewährleisten.
2. Im Gegensatz zu den etablierten Parteien vertreten Krall und sein Verein jedoch einen „konservativen“ Liberalismus, der sich an überlieferten Werten (Familienbild, Tradition und Religiosität) orientiert. Hier existieren große Schnittmengen mit der, in ihrem Kern ebenso liberalen, AfD.
3. Den eklatanteste Unterschied zwischen Krall und den üblichen Akteuren des liberalen Mainstreams finden wir in der Frage der Einwanderung. Während die Linksliberalen von Antifa bis CDU eine „offene – Grenzen-Politik“ bevorzugen, setzt Krall hier auf das bestehende Asylrecht und positioniert sich gegen Einwanderung von beruflich wenig qualifizierten Menschen. Hier erkennen wir also ebenfalls AfD – Positionen wieder.
4. Man kann den Atlas e.V. als einen Versuch verstehen, Positionen in die Politik zu tragen, die bislang publizistisch in Netzpostillen wie „eigentümlich frei“, „Achse des Guten“ (Lengsfeld, Broder etc.), „Tichys Einblick“, der „Jungen Freiheit“ etc. vertreten waren. Gleichzeitig versucht Krall damit Einfluss auf die AfD zu nehmen, damit diese ihren wirtschaftsliberalen Flügel gegen die „Sozialisten“ (O-Ton Krall) um Höcke & Co. stärkt.
5. Selbstgestecktes Ziel der Initiative ist die Übernahme der Regierungsgewalt durch eine „liberal – konservative Bewegung“, wozu extra ein Denkfabrik etabliert werden soll, die dieses Vorhaben orchestriert. Krall spricht hier staatsmännisch schon von einem zu gründenden „thinkthank“, der sich mit „executive leadership“ beschäftigen soll (die Anglizismen stammen aus der Feder des konservativen – Liberalen und ob es sich bei dem Namen des Vereins um eine Adaption des Romantitels „Atlas Shrugged“
von Ayn Rand handelt, ist zwar bislang nicht bekannt, aber nicht unwahrscheinlich).
So weit so unspektakulär. Liberale und Libertäre, die „ihre“ freie Marktwirtschaft bedroht sehen, gibt es seit dem Bestehen derselbigen und genauso ist eine konservative Ausrichtung einiger Liberaler nichts Neues. Zwar ist es objektiv gesehen gänzlich unmöglich, gleichzeitig ein wirklich konservatives Weltbild zu predigen und sich wirtschaftsliberal (also pro-kapitalistisch) zu verstehen, doch begegnen wir diesem Widerspruch v.a. in rechten politischen Zusammenhängen immer wieder.
Der Philosoph Anselm Jappe hat in seinem Aufsatz über „Die Aura der alten Museen und die Erfahrung in den neuen“ schon vor vielen Jahren auf eben diesen deutlich hingewiesen:
„Der Kapitalismus ist seinem Wesen nach, und war von Anfang an, ein dynamisches System, das alle Aspekte der Gesellschaft ständig umwälzt. Sehr lange Zeit ging das jedoch mit einem Konservatismus auf der Ebene des „Überbaus“ einher, darunter auch der kulturellen Werte.
Während der Kapitalismus auf der Ebene der Produktion nur blind nach vorne stürmte, wirkte er auf der Ebene der offiziellen Werte „konservativ“, „reaktionär“, „rückwärtsgewandt“, „traditionalistisch“.
In Wirklichkeit handelte es sich um noch lange fortwirkende Reste seiner feudalen und religiösen Vergangenheit. Die meisten Kritiker des Kapitalismus verwechselten
auch hier Wesen und Erscheinung und hielten ihn für essentiell „konservativ“, was er keinesfalls ist…“
Oder im Umkehrschluss: Wer sich wirklich als konservativ versteht, muss zwangsläufig antikapitalistisch sein… Aber das ist Stoff für einen eigenen Text.
Warum nun also mit Krall und Konsorten beschäftigen? Weil sie durchaus das Potential haben, jenen Menschen Sand in die Augen zu streuen, die in dieser neuerlichen Krise, des von ihnen als alternativlos gepredigten Wirtschaftssystems, erkennen könnten, dass wir es mit einem wiederholt immanenten Rücksetzer desselbigen, samt seiner sozialen Folgen, zu tun haben. Sie verhindern so immer wieder eine wirkliche Kritik an den systemischen Ursachen der aktuellen Krise, bzw. verbauen sie von vornherein den Zugang zu einer solchen. Ob bewusst oder unbewusst, ist letztendlich egal, denn das Ergebnis ist der auf falsche Pfade geführte Mensch, der sich aus dem von „oben“ auferlegten Gedankengefängnis nicht zu befreien imstande ist.
Typen wie er treten immer wieder auf, sei es während des Crashs des „Neuen Marktes“ 2001, bei der „Finanz- und Bankenkrise 2008/09 oder eben jetzt: Neoliberale, die den Menschen klar machen möchten, dass nur die Verhinderung des freien Spieles auf dem Markt zu eben jenen Krisen führt, die die Rolle der Staaten als „Manager“ in diesen Krisen (und sonst im Regelfall auch) als per se negativ interpretieren und die dem Sozialstaat als Auffangbecken der „Überflüssigen“ die Existenzberechtigung absprechen. Bei Krall kommt hinzu, dass er als Kritiker der Masseneinwanderung, den Nerv vieler Menschen trifft, die der „offenen-Grenzen-Politik“ des Berliner Regimes zumindest kritisch gegenüberstehen und er so eine gewisse „Outlaw“-Position einnimmt.
Ihm und seinen Anhängern sei es deswegen hier in aller Deutlichkeit gesagt: die aktuellen wirtschaftlichen Turbolenzen haben nur oberflächlich mit den Corona-Maßnahmen der Regierungen zu tun. Schon Monate vorher zeigten sich gerade im verarbeitenden Gewerbe
massive Einbrüche bei den Auftragseingängen und selbst die Konsumnachfrage ging spürbar zurück. Das kann man alles, auch jetzt noch, an den bekannten Indikatoren ablesen. Sie stehen jedermann meist kostenfrei im Netz zur Verfügung. Als sich die Situation zuspitze, war die Corona-Pandemie ein willkommener Anlass für den „Shut down“, in dessen Schatten sich die globalen Akteure der Wirtschaft neu sortieren können.
Die Staaten haben mit ihren drastischen Maßnahmen (soziale Disziplinierung, Billionenhilfen, Neuverschuldungen etc.) deshalb geholfen, das bestehende System zu schützen und sind mitnichten, wie Krall meint, der Auslöser der Wirtschaftskrise. In einem älteren Beitrag auf unserer Seite ist das ganz gut auf den Punkt gebracht worden:
„Wenn das Kapital die Substanz des Eies ist, ist der Staat seine Schale. Eine Krise, welche die globalisierte Wirtschaft gefährdet, eine Systemkrise, wie man heute sagt, provoziert eine fast automatische Abwehrreaktion und reaktiviert bereits bestehende Disziplinar- und
Strafmechanismen. Das Kapital wird an zweite Stelle gerückt, und erst dann offenbart sich der Staat in seiner ganzen Fülle. Die ewigen Gesetze des Marktes werden auf Urlaub geschickt, ohne dass ihre Gültigkeit entkräftigt wird.
Der Staat gibt vor, sich als Rettungsanker zu präsentieren, an den sich die Bevölkerung
klammern muss, wenn der Markt in der Höhle der Bank und der Börse einschläft. Während er daran arbeitet, zur alten Ordnung zurückzukehren, d.h. um mit den Worten der Informatiker zu sprechen, während er versucht, einen Punkt der Wiederherstellung des Systems zu schaffen, übt der Staat die Rolle des schützenden Protagonisten aus, obwohl er in Wirklichkeit eher einem närrischen Zuhälter gleicht. Trotz allem, und was auch immer er sagen mag, greift der Staat nicht ein, um die Bevölkerung und schon gar nicht die politischen Institutionen zu verteidigen, sondern um die kapitalistische Wirtschaft und damit die unselbstständige Arbeit und den induzierten Konsum zu verteidigen, die den vom letzteren bestimmten Lebensstil kennzeichnen. In gewisser Weise schützt er sich vor einer möglichen sozialen Krise…“
Doch warum kommt es in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu solchen Krisen? Der Kapitalismus ist doch laut Neoliberalen wie Markus Krall das vernünftigste und beste Wirtschaftssystem, welches sich der Mensch zu eigen gemacht hat. Im Grunde waren diese Krisen seit Beginn der kapitalistischen Produktionsweise absehbar. Ein bärtiger Philosoph schrieb in seinem Londoner Exil von „äußeren und inneren Schranken“ des Systems. Während (leicht nachvollziehbar) die äußere Schranke die stoffliche Grundlage für den Produktionsprozess beschreibt, also unseren Planeten Erde, der nun mal endlich ist und
unweigerlich das Ende grenzenlosen Wachstums aufzeigt, ist es mit der inneren Schranke etwas vertrackter.
Genaugenommen geht der Kapitalismus an seiner eigenen Effizienz zugrunde und versucht das mittels schuldenbasierter Nachfrage von Seiten der Konsumenten, Unternehmen und Staaten zu verhindern. Klingt abstrus, ist aber so. In einem 2012, also nach Abflauen der letzten Krise, gehaltenen Vortrag fasste Thomas Konicz den gegenwärtigen Stand der Dinge ganz gut zusammen und wies auf die grundlegenden Ursachen hin:
„…Letztendlich ist der Kapitalismus schlicht zu produktiv für sich selbst geworden. Dieses System stößt an eine innere Schranke seiner Entwicklung. Die immer schneller um sich greifende Rationalisierung und Automatisierung führt dazu, dass immer mehr Waren in immer kürzerer Zeit durch immer weniger Arbeitskräfte hergestellt werden können. Neue Industriezweige wie die Mikroelektronik und die Informationstechnik beschleunigten diese Tendenz noch weiter. Diese neuen Technologien schufen weitaus weniger Arbeitsplätze, als durch deren gesamtwirtschaftliche Anwendung wegrationalisiert wurden.
Diese Entwicklung kennzeichnet einen fundamentalen Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise. Die Lohnarbeit bildet die Substanz des Kapitals – doch zugleich ist das Kapital bemüht, durch Rationalisierungsmaßnahmen die Lohnarbeit aus dem Produktionsprozess zu verdrängen. Marx hat für diesen autodestruktiven Prozess die geniale Bezeichnung des »prozessierenden Widerspruchs« eingeführt.
Dieser Widerspruch kapitalistischer Warenproduktion, bei dem das Kapital mit der Lohnarbeit seine eigene Substanz durch Rationalisierungsschübe minimiert, ist nur im »Prozessieren«, in fortlaufender Expansion und Weiterentwicklung neuer Verwertungsfelder der Warenproduktion aufrechtzuerhalten. Derselbe wissenschaftlich-technische Fortschritt, der zum Abschmelzen der Masse verausgabter Lohnarbeit in etablierten Industriezweigen führt, ließ auch neue Industriezweige oder Fertigungsmethoden entstehen.
Die Ausbildung eines gigantischen Finanzsektors und des korrespondierenden riesigen Schuldenbergs im globalen Maßstab kann folglich als eine Systemreaktion auf einen nicht mehr erfolgreich stattfindenden Strukturwandel in den Industrieländern aufgefasst werden.
Aus dem erläuterten „prozessierenden Widerspruch“ der Warenproduktion resultiert ein industrieller Strukturwandel, bei dem alte Industrien verschwanden und neue hinzukamen, die wiederum Felder für Kapitalverwertung und Lohnarbeit eröffneten. Über einen bestimmten Zeitraum hinweg besaßen bestimmte Industriesektoren und Fertigungsmethoden die Rolle eines Leitsektors, bevor diese durch andere, neue Industriezweige abgelöst wurden: So erfahren wir seit dem Beginn der Industrialisierung im 18 Jahrhundert einen Strukturwandel, bei dem die Textilbranche, die Schwerindustrie, die Chemiebranche, die Elektroindustrie der Fahrzeugbau, usw., als Leitsektoren dienten, die massenhaft Lohnarbeit verwerteten. Doch genau dies funktioniert nicht mehr, nachdem die Lohnarbeit aufgrund der Rationalisierungsschübe der mikroelektronischen Revolution sich innerhalb der Warenproduktion verflüchtigt.
Die kapitalistischen Volkswirtschaften entwickelten sich folglich in zwei verschiedene Richtungen, um dieser systemischen Überproduktionskrise zu begegnen: Sie verschuldeten sich, um die besagte Defizitkonjunktur auszubilden, wie Griechenland, Spanien, Irland oder die USA. Oder sie versuchen, die Widersprüche der spätkapitalistischen Produktionsweise zu
“exportieren”, wie es Deutschland, China, Südkorea oder Japan machen (…)
Zusammenfassend lässt sich festhalten: die Krise ist nicht vier Jahre, sondern 30 Jahre alt. Die Ursachen der Krise sind nicht in den Finanzmärkten, sondern in der warenproduzierenden, realen Wirtschaft zu suchen. Die wild wuchernden Finanzmärkte haben nicht die
warenproduzierende Industrie in den Abgrund gerissen, sondern diese bis zum Zusammenbruch
der spekulativen Blasenbildung durch kreditfinanzierte Nachfrage überhaupt am Leben erhalten
– so wie es nach Verstaatlichung dieser Defizitkonjunktur die Staaten tun. Dem kapitalistischen System ist die Dynamik eigen, seine Produktion beständig zu revolutionieren und mit permanenten Produktivitätsfortschritten sein eigenes ökonomisches Fundament zu untergraben.
Die gegenwärtige Krise ist letztendlich eine Krise der kapitalistischen Lohnarbeit, die dem Kapitalismus abhandenkommt. Nur die dargelegte, ungeheure Verschuldungsdynamik der letzten Dekaden hat den Ausbruch einer verehrenden Überproduktionskrise verhindert. Dies ist ein globales Phänomen. Dies bedeutet aber auch, dass der volle Ausbruch der Krisendynamik noch vor uns liegt. Sobald die Staaten nicht mehr in der Lage sein werden, mittels Gelddruckerei und Konjunkturprogrammen den Kapitalismus am Laufen zu halten, droht auf globaler Ebene eine Depression, wie sie gerade Griechenland an den Rand des gesellschaftlichen Zusammenbruchs führt.
Die Politik kann diesen Krisendurchbruch nur durch weitere Konjunkturmaßnahmen verzögern, die aber letztendlich in den Staatsbankrott müden können. Die Krisenpolitik befindet sich somit in einem unlösbaren Selbstwiderspruch, bei dem sie nur zwischen zwei
unterschiedlichen Wegen in die Krise wählen kann: Die Politische Klasse kann systemimmanent nur zwischen weiterer Verschuldung bis zu Staatsbanktrott und Hyperinflation wählen, oder den Weg harter Sparprogramme einschlagen, die in Rezession mitsamt einsetzender Deflationsspirale führen.
Quelle:
http://www.konicz.info/?p=2036
Innerhalb des kapitalistischen Systems gibt es nur die beiden Wege, um aus den immer wiederkehrenden Krisen zu „entfliehen“, bzw. diese irgendwie mit ein paar Kollateralschäden zu überstehen. Freilich geht damit eine gefährliche Erhöhung der Fallhöhe für die darauffolgende Krise einher. Das grundsätzliche Übel aber, welches jederzeit uns alle in den Abgrund zu reißen droht, wird von ihnen nicht in Frage gestellt.
Anhänger der österreichischen Schule (van Mieses, Hayek), wie es u.a. auch die Leute um Krall sind, können oder wollen nicht außerhalb des bestehenden Systems denken und entsprechende Handlungsalternativen entwerfen. Sie tragen dazu bei, dass die Welt von morgen keine bessere sein wird und verhindern bewusst oder unbewusst jegliches emanzipatorische Denken und Agieren. Der ewige Dualismus zwischen marktradikalen Hayekianern und Anhängern der staatlichen Interventionen, wie sie von Keynes gedacht und gefordert worden, ist nichts anderes als Spiegelfechterei, die wertvolle Zeit zum Gegensteuern raubt.
Deshalb dem Krall und seinen Liberalen die Krallen zeigen und Widerspruch auf allen Ebenen leisten. Der bislang in den weitesten Teilen der Bevölkerung herrschende irrationale Protest gegen die Zustände darf nicht in die Hände jener überführt werden, die keine Lösung anzubieten haben, weil ihre Vorstellungen über das menschliche Zusammenleben Grund des aktuellen Problems sind.
2 Kommentare zu „Liberale, die ihr eigenes System nicht verstehen!“