James Connolly steht in der irischen, aber auch europäischen Geschichte sinnbildhaft für die Verbindung von sozialistischer Überzeugung und nationaler Befreiungsidee. Genaugenommen war er es, der lange vor dem dortigen (und leider erfolglosen) Revolutionsversuch von 1916 in Dublin unermüdlich darauf hinwies, dass eine nationale Erhebung gegen die britische Kolonialherrschaft sinnlos wäre, wenn die britischen Eliten lediglich durch einheimische irische Eliten ausgewechselt würden, das zugrundeliegende System hingegen das Gleiche bliebe.
Legendär sind seine Sätze, die er an die nationalistischen Politiker und Militärs seiner Zeit richtete:
„If you remove the English army tomorrow and hoist the green flag over Dublin Castle, unless you set about the organization of the Socialist Republic your efforts would be in vain. England would still rule you. She would rule you through her capitalists, through her landlords, through her financiers, through the whole array of commercial and individualist institutions she has planted in this country and watered with the tears of our mothers and the blood of our martyrs.“
Seine Bedenken eines bloßen Elitenaustausches der besitzenden und damit bestimmenden Klasse im Zuge der (partiellen) nationalen Befreiung, die in den Jahren 1916-1920 blutig erkämpft wurde und bis heute heftig umstritten ist (Teilung der Insel, Nordirlandkonflikt), wurden leider Realität. Nichtdestotrotz nahm Connolly seinerzeit am erwähnten Osteraufstand 1916 mit seiner Irish Citizien Army (bewaffneter Arm der damaligen Gewerkschaftsbewegung) neben Nationalromantikern wie bspw. Patrick Pearse teil. Er wurde wie alle anderen Anführer festgenommen, misshandelt und am 12. Mai 1916 hingerichtet, wofür ihn die englischen Besatzer extra an einen Stuhl fesselten, weil er wegen seiner beim Aufstandsversuch zugezogenen Verletzungen zu schwach war, um stehend die Salven des Exekutionskommandos zu empfangen.
Weil sich bis zum heutigen Tag fast alle linken Gruppen und Parteien der grünen Insel auf das Erbe Connollys berufen, diese aber wie fast überall in Westeuropa die tragische Metamorphose von einstmaliger Volksverbundenheit und dazugehörigem Klassenbewusstsein hin zur kapitalismus- und damit herrschaftskonformen Identitätspolitik durchmachten, nahm der „gript“-Autor Matt Treacy in einem interessanten Beitrag diese Bezugnahme hinsichtlich ihrer Berechtigung mal etwas genauer unter die Lupe und kommt schon in der Überschrift zu einem Ergebnis, welches nicht wirklich überrascht:
„James Connolly would have had no truck with the cranky woke modern left“
Für die englischverständigen Leser unter uns ist der vollständige Beitrag hier zu erkunden:
Für alle anderen haben wir nachfolgend einige Passagen daraus übersetzt.
„James Connolly wird von der heutigen linksliberalen Bewegung oft als Ikone zitiert, obwohl die meisten von ihnen entweder nie an Connollys Ziel einer unabhängigen souveränen Republik auf der Grundlage des allgemein verstandenen Konzepts der Gerechtigkeit geglaubt haben oder nicht mehr daran glauben.
Connolly war kein Etatist, der für die Ersetzung des Privateigentums durch den Staat als Arbeitgeber eintrat, sondern befürwortete genossenschaftliches Eigentum sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft. Wie er in „The New Evangel“ aus dem Jahr 1899 klarstellte: „Sozialismus impliziert vor allem die genossenschaftliche Kontrolle der Produktionsmaschinerie durch die Arbeiter; ohne diese genossenschaftliche Kontrolle ist das öffentliche Eigentum durch den Staat kein Sozialismus – es ist nur Staatskapitalismus.“ Darin merkte er auch (augenöffnend) an, dass, wenn es die grundlegende Definition des Sozialismus wäre, vom Staat angestellt zu sein, dann „wären Richter, Gefängniswärter, Informanten und Henker allesamt sozialistische Funktionäre.“ (…)
So wie er derzeit (von den Linksliberalen, A.d.Ü,) definiert wird, hat der Sozialismus kein anderes Wirtschaftsmodell als die Schaffung einer auf Steuern basierenden Abhängigkeitskultur, anstatt eine Alternative zum neoliberalen Kapitalismus vorzuschlagen. Kooperation, wie sie die Grundlage für die republikanische Comhar na gComharsan-Politik war (kooperative Zusammenschlüsse in der Vergangenheit Irlands, A.d.Ü.), wurde von denen über Bord geworfen, die gerne mit dem globalen Kapital kooperieren, solange sie die Schirmherren einer Klasse von Staatsabhängigen bei der Verteilung von Dingen sind, die alle bei Laune halten. Die wichtigsten linken Organisationen und NGOs könnten ohne staatliche Subventionen nicht so überleben, wie sie es tun. So etwas hätte Connolly und die Gründer der ITGWU (damalige Gewerkschaften) verblüfft, die jetzt, als SIPTU, ein ziemlich kastriertes Rädchen im System ist.
Hinzu kommt die Aufspaltung der Gesellschaft in zahlreiche Gruppen, analog Hindu-Sekten nach Rasse, sozialer Herkunft, sexueller Orientierung und dem alchimistischen Glauben, dass Menschen ihr biologisches Geschlecht ändern können. Und alle diese Gruppen werden zu weiteren Konkurrenten um staatliche Gelder (…).
Es gibt auch keine Beweise dafür, dass Connolly die unhinterfragte Zustimmung der modernen Linken zur Masseneinwanderung und zur Untergrabung der traditionellen Familie teilte. In der Tat war Connollys, in den Protokollen des Dubliner Handelsrats festgehaltene, Haltung gegenüber Einwanderern, einschließlich der Belgier, die während des Ersten Weltkriegs hierher (nach Irland, a.d.Ü.) verlegt werden sollten, dass sie eine Bedrohung für die ohnehin schon prekären Bedingungen und Löhne der irischen Arbeiter darstellten. Die Streikbrecher, die aus Liverpool und Glasgow kamen, um Streiks in Dublin und Belfast zu brechen, wurden als Wirtschaftsmigranten bezeichnet. Und diejenigen, die sie damals „in die Liffey stoßen“ ließen (Fluss durch Dublin, A.d.Ü), waren nicht auf der „extremen Rechten“ anzutreffen (…).
Die Bedrohung der „einheimischen“ Arbeiterklasse und -gemeinschaft durch die Masseneinwanderung kommt im aktuellen linken Diskurs nicht einmal vor, der die Unlogik der Aufnahme einer großen Zahl von Menschen nicht zu berücksichtigen scheint, während er behauptet, dies alles mit der Nachfrage nach Wohnraum und potentieller Gewerkschaftsmitgliedschaft ausgleichen zu können. Es ist ein dialektisches Rätsel, das keiner der doktrinären Linken auch nur für diskussionswürdig hält, geschweige denn aufzeigt, wie es gelöst werden könnte.
1904 schrieb Connolly in New York eine Reihe von Artikeln, in denen er gegen die Befürworter der Zerstörung aller Formen etablierter Moral seine eigene Ansicht vertrat, nämlich dass „die Tendenz der Zivilisation zu ihrer Vervollkommnung und Vollendung geht, statt zu ihrer Zerstörung.“ (The People, April 1904) Er meinte, dass Fragen bezüglich der Familie, Scheidung, Kinder und so weiter in einer sozialistischen Republik genauso umstritten sein würden wie zu dieser Zeit.
Peadar Tóibín und andere wurden aus der größten linken Partei (Sinn Fein) hierzulande ausgeschlossen, weil sie mehr oder weniger das Gleiche in Bezug auf die Abtreibung gesagt hatten, deren Unterstützung heute eine linke conditio sine qua non ist, wie sie es einst unter totalitären Eugenikern war, die den Wunsch hatten, die Abtreibung zur Liquidierung der sozial und rassisch Untauglichen einzusetzen.
Connolly erklärte auch: „Ich bin seit langem der Meinung, dass die sozialistische Bewegung anderswo zu einem großen Teil durch die Anwesenheit von Opportunisten und Spinnern in ihren Reihen behindert wurde, die nicht für die Sache des Sozialismus in der Bewegung waren, sondern weil sie glaubten, in ihr ein Mittel zu sehen, um ihre Theorien über solche Fragen wie Sex, Religion, Impfung, Vegetarismus usw. zu ventilieren, und ich glaubte, dass solche Ideen keinen Platz in unserem Programm oder in unserer Partei hatten oder haben sollten.“ (The Socialist, Juni 1904) (…)“
Der Autor dieser Zeilen, Matt Treacy, war Mitglied der Provisional IRA und arbeitete nach seiner Entlassung aus mehrjähriger Haft für deren politischen Arm Sinn Fein. Seit deren Hinwendung zum Linksliberalismus unterstützt er die sozial-konservative Partei Aontú und ist als Publizist tätig.
Lesenswerte Bücher von ihm sind u.a. „The IRA 1956-69: Rethinking the Republic“ (2013) und „A tunnel to the Moon: The End of the Irish Republican Army“ (2011, leider vollständig vergriffen).
Bei gript.ie zeichnet er neben Beiträgen zum aktuellen Geschehen für die aufschlussreiche Reportagenreihe „Why I left the left“ verantwortlich:
https://gript.ie/category/why-i-left-the-left/
Ins Deutsche übersetze Originaltexte von James Connolly findet man u.a. im Buch „Linke und Nation. Klassische Texte zu einer brisanten Frage“, welches von Stefan Bollinger im Promedia-Verlag herausgegeben wurde (ISBN 978-3-85371-302-0).