Seine Anfang 1991 geäußerte Überzeugung, dass es auch noch im Jahr 2000 volkseigene Betriebe auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wird geben, dürfte ihm sprichwörtlich den Kopf gekostet haben. Es durfte keine Alternative zum marktradikalen Kurs der totalen und vollständigen Privatisierung geben, dafür bezahlte der seinerzeitige Chef der zur Verwaltung des DDR-Volksvermögens gegründeten Treuhand AG, Detlev Karsten Rohwedder, mit seinem Leben.
Bis heute ist unklar, wer am 1.April 1991 auf ihn und seine Frau schoss. Die Tatausführung aber ließ darauf schließen, dass es sich seinerzeit um Profis gehandelt haben musste:
Distanzschuss aus 63 Meter Entfernung, NATO-Standartkaliber 7,62 x 51 mm, Waffentyp FN FAL (Schnellfeuergewehr, welches bei NATO-Truppen regelmäßig im Einsatz war)
Vom Insiderwissen ganz zu schweigen: Woher wussten die Täter, wann Rohwedder daheim in Düsseldorf ist? Wer gab ihnen den Tipp, dass die Fenster im ersten OG des Hauses nicht aus Panzerglas waren, im Gegensatz zu jenen im Erdgeschoss?
Am Tatort wurde ein Bekennerschreiben der Rote-Armee-Fraktion („RAF“) gefunden, welches jedoch auffällig vom, für den Normalbürger doch recht schwerfällig lesbaren, Duktus ehemaliger Tatbezichtigungen (vor allem die von U. Meinhof) abwich. Später fand man noch ein Haar, welches angeblich einem RAF-Mitglied zugeordnet werden konnte, dessen mögliche Drapierung für die entsprechenden Stellen jedoch keine besondere Herausforderung dargestellt hätte. So in etwa die Fakten zum Tathergang.
Es sollte angeblich der letzte Mord der linksradikalen Truppe „Rote-Armee-Fraktion“ gewesen sein, die seit der Befreiung Andreas Baaders zwei Jahrzehnte zuvor ihren Vorstellungen von Revolution mit Waffengewalt Nachdruck verleihen wollte.
Aber schon wenige Zeit nach der Ermordung Rohwedders kamen Zweifel an dieser schnellen Schuldzuweisung auf, Bekennerschreiben hin oder her. Gründe für diese Zweifel waren neben der eingangs erwähnten Meinung des Treuhandvorsitzenden, die ja gerade eine mögliche Perspektive zwischen Neoliberalismus und staatlicher Kommandowirtschaft in gelebter (und vielleicht sogar erfolgreicher) Existenz von Betrieben, die durch die Arbeiter selbst verwaltet würden, für einen dritten Weg hätte skizieren können, die Person Detlev Karsten Rohwedder selbst.
Rohwedder war als behutsamer Sanierer bekannt, der in den 80ern den Hösch-Konzern vor dem Untergang und damit viele tausend Arbeitsplätze rettete, überzeugter Sozialdemokrat und im Gegensatz zu seiner Nachfolgerin Birgit Breuel alles andere als ein Marktradikaler. Letztere entstammt einem reichen Privatbankiershaus, welches zu allen Zeiten mit den Mächtigen im Bett lag (selbstredend auch im NS) und stand verwunderlicher Weise nicht im Fokus der RAF. Schon seltsam, oder? Sie trieb dann auch die radikale Zerschlagung der VEBs voran, ließ Volksvermögen in (meist angelsächsische und westdeutsche) Kapitalistenhände wandern, nicht selten geschenkt, und wurde zum Dank dafür vom Staat mit der „lebenskrönenden“ Leitung der deutschen Weltausstellung (Expo 2000) bedacht.
Die RAF hätte sich als Täterin, ebenso wie beim ungeklärten Mord am Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen (der sich u.a. für einen Schuldenerlass afrikanischer Staaten einsetzte), einen Bärendienst erwiesen, wenn sie so einen wie Rohwedder hätte beseitigen wollen. Und das wusste man sicher seinerzeit.
Der Mord selbst aber passte einem sehr gut ins Szenario: nämlich dem Staat, der damit seine Wirksamkeit als Werkzeug der besitzenden Klasse hat gut beweisen können.
Überall in den neuen Ländern kam es Ende 1990 und Anfang 1991 zu Massenkundgebungen von im wahrsten Sinne Enttäuschten, weil ihre Arbeitsplätze unsicher waren, viele ihren Job verloren und sich keine Perspektive aufzeigte, als sich zukünftig jenseits der Elbe und Werra zu verdingen. Eine Perspektive, die in den Jahren und Jahrzehnten darauf leider bittere Realität wurde und Millionen gut ausgebildete junge Leute ihre Heimat verließen. Ein „Braindrain“ ohne gleichen. Die Meisten dauerhaft und/oder für alle Zeiten, so dass man in Teilen Ostdeutschlands heutzutage annehmen kann, man wäre in einem Altenheim unterwegs. Vom Wegbrechen der kulturellen und sozialen Strukturen vor Ort, gerade in den ländlichen Gebieten, müssen wir an dieser Stelle nicht extra schreiben.
Diese Kundgebungen und Demonstrationen, die dem teils peinlichen Einheitsrausch wie ein unausweichlicher Kater im Ernüchterungsprozess folgten und offen das System Kohl (sinnbildlich für die BRD) in Frage stellten, fanden ihr abruptes Ende mit der Ermordung Rohwedders. Keiner wollte sich mit Mördern gemein machen, niemand Teil einer Protestbewegung sein, deren Zuspitzung die Schüsse in Düsseldorf am 1. April zu sein schienen.
Wie praktisch, wenn man dann mal wieder „das Arschloch aus dem Wandschrank“ (Volker Pispers) in Form der RAF holen konnte. Und noch viel praktischer war es, dass der vermeintliche Schütze, Wolfgang Grams, bei einem Einsatz der BRD-Antiterror-Truppe GSG 9 im mecklenburgischen Bad Kleinen zwei Jahre später am 27. Juni unter bis heute nicht geklärten Umständen ums Leben kam. Tote Täter können bekanntlich schwer im Prozess aussagen. Angeblich richtete sich Grams selbst, eine anwesende Kiosk-Betreiberin hingegen beteuerte immer wieder, wie sie eindeutig gesehen hat, dass er mit aufgesetztem Kopfschuss durch einen Beamten ermordet wurde.
Auch andere Indizien sprachen vehement gegen einen Suizid Grams´. Sie alle spielen aber keine Rolle mehr, schließlich „fand“ man ja ein Haar und das Bekennerschreiben…
Die Frage nach dem „cui bono?“ wurde wie üblich nie gestellt und Untersuchungen in andere Richtungen selbstverständlich unterlassen. Wer legt sich schon mit seinem Dienstherren an?
Einige Jahre lang engagierte sich der Spiegel in guter investigativer Recherche zu diesem Vorfall, das muss erwähnt werden. Vorangetrieben vom ehem. „Konkret“-Autor Stefan Aust, der die Gründungsleute der RAF persönlich kannte und vielleicht auch deshalb die offizielle Geschichte in Frage stellte.
Davon aber ist nichts geblieben. Mit der opportunistischen Selbstaufgabe der Linken, der vom System betriebenen Gleichschaltung der Medien und dem von oben herbeigeführtem Desinteresse der meisten Menschen an komplexen Zusammenhängen durch Ablenkung mit Alltagsschund und gefördertem Konsumismus wird aller Voraussicht nach nie Licht in diese Staatsaffäre gebracht werden können.
Ganz aktuell versucht man sich von seiner journalistischen Tätigkeit in diesem Fall reinzuwaschen. Klar, hier geht’s auch um den größten Anzeigengeber und die Reputation im besten aller möglichen Staaten.
Was bleibt sind ein paar gute Bücher, Texte und TV-Beiträge aus den neunziger Jahren und die Erkenntnis, dass dieser Staat nie von innen heraus wirklich reformiert werden kann, wie es Rohwedder versuchte anzugehen. Alles was dem zugrundeliegendem System widerspricht wird entweder sozial und medial kaltgestellt oder bei zu viel Einfluss eben brutal kaltgemacht.