Vorangestelltes Zitat: There can never be peace in Ireland until the foreign oppressive British presence is removed, leaving all the Irish people as a unit to control their own affairs and determine their own destinies as a sovereign people, free in mind and body, separate and distinct physically, culturally and economically.
Zum 40. Todestag von Bobby Sands (Provisional IRA)
Am 6. Mai vor vierzig Jahren begann mit dem Tod von Bobby Sands, damals 27 Jahre jung, nach 66tägigem Hungerstreik das große Sterben im Hochsicherheitsgefängnis von Long Kesh (nähe Belfast, Nordirland). Ihm folgten noch weitere neun Aktivisten, sechs davon Angehörige der Provisional Irish Republican Army (PIRA), drei waren Mitglieder der Irish National Liberation Army (INLA).
In den Hungerstreik traten sie, weil durch die Kriminalisierungstaktik Thatchers, die Angehörigen der paramilitärischen Einheiten wie gewöhnliche Kriminelle in den Gefängnissen behandelt wurden. Die Geschichte ist schnell erzählt, so brutal und tragisch sie auch war. Ausnahmsweise verweisen wir anlässlich dieses traurigen Jubiläums auf einen absolut lesenswerten Beitrag auf Spiegel Online, der dieses Kapitel aktueller britischer Kolonialgeschichte dezidiert beschreibt.
Hervorzuheben ist bei dem Artikel, dass er auch die dunkle Seite der politischen Instrumentalisierung nicht ausspart. Während nämlich die Leute der PIRA und INLA hungerten, um öffentlichen Druck zu erzeugen, liefen im Hintergrund Gespräche zwischen den Führungsgremien der Briten und der irisch-republikanischen Führung. Letztere war sich des gewaltigen politischen und medialen Momentums bewusst, welches der Hungerstreik erzeugte und ließ eine Akzeptanz der britischen Zugeständnisse durch die hungerstreikenden Gefängnisinsassen absichtlich ins Leere laufen. Mindestens vier Tode hätten verhindert werden können.
Genauestens beschrieben wurden diese Vorgänge von Richard O´Rawe, seinerzeit Presseoffizier der PIRA-Gefangenen in Long Kesh, im Buch „Blanketmen: An Untold Story of the H-block Hunger Strike“ von 2005.
Warum ist das für uns alles von Bedeutung?
Zwar sind die Umstände in denen die Befreiungskämpfe der Völker aktuell geführt werden weniger kolonialistischer denn vielmehr kapitalistisch-autoritärer Natur, v.a. in Westeuropa, und auch die Mittel der Auseinandersetzungen sind heute gänzlich andere (Medienarbeit und demokratisch-legitime Aktionen statt bewaffneter Kampf gegen die Institutionen des Staates), aber die Geschichte von Long Kesh zeigt eines auf, dass es wohl leider immer wieder geben wird und das als Warnung zu verstehen ist: Die Ausnutzung idealistischer Menschentypen durch jene, die hauptsächlich von machtpolitischen und finanziellen Ambitionen getrieben werden.
Der von der politischen Führung der republikanischen Bewegung (Partei Sinn Fein) bewusst in die Länge gezogene Hungerstreik mit dann zehn toten jungen Leuten diente der Etablierung dieser als ernstzunehmende Partei, der Spiegel Online-Artikel beschreibt das ganz gut.
Entzog man sich in den 1970ern noch einer Teilnahme von Wahlen, weil man den Institutionen des verhassten britischen Imperiums keine Legitimation zukommen lassen wollte, änderte sich das mit der Politisierung nach Sands Tod radikal. Der Fokus wurde weg vom rein bewaffneten Kampf und hin zu Wahlerfolgen gelegt. Das soll nicht heißen, dass diese Entwicklung per se als negativ zu werten war und ist, aber einher ging mit dieser der Ausverkauf der Interessen der nationalistisch gesinnten irischen Bevölkerung in Nordirland.
Am Ende standen der von der politischen Führung ausgehandelte Waffenstillstand und das „Karfreitagsabkommen“ von 1998, welches bis heute die Teilung der Insel und die britische Einflussnahme auf den wichtigen, weil industriell wertvollen, Nordostteil sichert. Zwar wurden tausende Paramilitärs im Zuge des Abkommens aus den Haftanstalten entlassen, wurden sog. Cross-Border-Institutionen geschaffen und Sinn Fein wurde zur Regierungspartei, die ursprünglichen Ziele aber verlor man gänzlich aus den Augen.
Denn während Sands und Kameraden für ein freies, vereintes, sozialistisches und v.a. sich seiner Nationalkultur bewusstes Irland starben, so hielten die Gefangenen bis zuletzt beispielsweise Gälisch-Sprachkurse ab und beschäftigten sich auch mit den keltischen Ursprüngen ihres Landes, startete unter Sinn Fein mit dem Amtsantritt als Regierungspartei der (letztlich systemimmanente) Ausverkauf dieser Ziele.
Lektüreempfehlung: „Good Friday. The Death of Irish Republicanism“ von Anthony McIntyre (ehem. PIRA-Aktivist), 2008
Ist man heutzutage in Belfast und Derry unterwegs, so hat sich unter den ehemaligen Aktivisten absolute Ernüchterung breit gemacht. Der Autor dieser Zeilen unterhielt sich im Februar 2018 lange mit einem ehem. Mitglied der republikanischen Bewegung in der „Rock Bar“ in West-Belfast, ganz in der Nähe des Miltown-Friedhofes, auf dem Bobby Sands unter der Anteilnahme von 100.000 Menschen beigesetzt wurde. Nebenbei: auch das war eine reine politische Inszenierung. Sein Wunsch war es eigentlich woanders begraben zu werden, aber davon wurde der Familie nichts erzählt. Belfast als Hauptstadt der republikanischen Bewegung war nun mal für die politische Führung prestigeträchtiger.
Die Intention des Gegenübers am Tresen war eindeutig. They are traitors, they did it for the money. Andere stimmten mit ein, wenn auch alles im sehr leisen Ton, denn abweichende Meinungen werden in Westbelfast immer noch brutal sanktioniert (McIntyre schreibt von „Stalinville“). Zum Schluss hin verabschiedete sich der Gesprächspartner mit dem Hinweis, dass er jetzt zum Gälisch-Kurs müsse. „Das sei das einzige, was es gebracht hätte. Und selbst das wird über die EU finanziert“.
Sinn Fein, sich zwar immer noch als links bezeichnend, ist den Weg der meisten linken Parteien Westeuropas, nämlich in den Linksliberalismus gefolgt. Heute wird sich mehr für zugewanderte Muslime und die „queere“ Szene eingesetzt als für die eigene katholisch-nationalistische Community. Von zehn der ärmsten Stadtviertel Großbritanniens liegen drei in Belfast und sie sind ausnahmslos solche, in den sich als irische Nationalisten verstehende Menschen leben. Westbelfast, der einst „politischste Stadtteil Europas“, versinkt in Agonie. Bei den Brexitwahlen war die Wahlbeteiligung um die Falls Road die Niedrigste in ganz Großbritannien.
Als 2018 die Mutter von Bobby Sands beigesetzt wurde, verweigerte Sands Schwester folgerichtig die Teilnahme hoher Sinn Fein-Funktionäre. Die Inanspruchnahme des Martyriums der Hungerstreikenden und v.a. ihres Bruders für die aktuelle Politik von Sinn Fein lehnte Bernadette Sands – McKevitt schon 1998 vor der abzusehenden Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens mit folgenden Worten ab:
„Bobby did not die for cross-Border bodies with executive powers. He did not die for nationalists to be equal British citizens within the Northern Ireland state…Throughout this conflict, men did not give up their lives and liberty, families did not suffer terribly, and there was not all this heartbreak and sacrifice for what is on the table now. The campaign was for an end to British rule, not a rejuvenated partition. The Irish people have the right to assert their independence by every means at their command. I’d prefer if the British listened to argument but they haven’t so far. They are the aggressors.“
Kurze Zeit später gründete und führte sie die Dissidenten-Organisation „32 County Souvereignty Movement“, welche als politischer Arm bewaffneter Dissidenten galt. Das dürfte deutlich mehr im Sinne ihres Bruders gewesen sein, als die popkulturelle Inanspruchnahme (analog jener bei Che Guevara) durch das linksliberale Establishment, welches nur in die eigene Tasche wirtschaftet und sämtliche Ideale verriet.
Bild: anfenglish.com