»Die Gretchenfrage der kommenden Jahre lautet: Ist die oppositionelle Rechte in Hellerschem Geist fähig und willens, zum Zwecke der Zuspitzung der eigenen Programmatik an das verratene Erbe des nicht-internationalistischen deutschen Sozialismus vor 1933 anzuknüpfen?« (Thor v. Waldstein)
Dieser Artikel von Thor von Waldstein erschien zuerst als Vorwort zur Neuauflage des Werkes „Sozialismus und Nation“ von Hermann Heller. (https://www.jungeuropa.de/autoren/thor-v.-waldstein/186/sozialismus-und-nation?c=37) und bei www.wir-selbst.com
Lassalle, Heller und das verratene Erbe des deutschen Sozialismus
Als der 28jährige Kieler Habilitand Hermann Heller 1919 zu den Sozialdemokraten stieß, war der Geist Ferdinand Lassalles, der den Vorläufer der SPD, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV), 1863 in Leipzig gegründet hatte, seit fast einem halben Jahrhundert tot und begraben. Lassalle (1825 – 1864) hatte sich selbst verstanden als „ein(en) Mann …, der seine ganze Existenz einer heiligen Sache, der Sache des Volkes, bis in ihre äußersten Konsequenzen gewidmet hat“1. Als Fichteaner war er mit diesem davon überzeugt, „daß die großen Nationalangelegenheiten immer nur vom Volke, nie von den gebildeten Ständen in die Hand genommen werden.“2 Geprägt von Rousseaus Ideenwelt und von Hegels Staatsidee strebte Lassalle einen volksgebundenen Sozialismus als Ziel an. In diesem sollten die Forderungen der wachsenden unteren Volksschichten nach politischer Teilhabe in Einklang gebracht werden mit den sich Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkenden Sehnsüchten der Deutschen nach einem einheitlichen Nationalstaat. Lassalle, schon als junger Redner eine beeindruckende Persönlichkeit, hatte sich in seinem Stil von den rhetorischen Pulverköpfen des „Jungen Deutschland“, allen voran Heinrich Heine und Ludwig Börne, anstecken lassen. Das gab seinen Vorträgen und Schriften jenes stürmische Timbre, das den Zuhörer und Leser zwar in seinen Bann zog, das aber auch – vor und nach 1848 – den einen oder anderen Gefängnisaufenthalt für den streitbaren Sozialisten mit sich brachte. Von Karl Marx, „dem Ökonom gewordenen Hegel“3, mit dem er seit 1848 bekannt war, nabelte sich Lassalle spätestens Ende der 1850er Jahre wegen Marxens nationaler Seinsvergessenheit ab. Angesichts der pan-ökonomistischen Geschichtsdeutungen Marxens sah er sich veranlaßt, seinem einstigen Vorbild im Jahr 1860 nach London zu schreiben: „Vergiß nicht, daß Du ein deutscher Revolutionär bist und für Deutschland wirken willst und mußt. Veranglisiere Dich nicht.“4 Diese Ermahnungen konnten indes nicht fruchten, weil Marx als internationalistischer Revolutionstheoretiker dem Lassalle‘schen Bemühen um die deutsche Einheit und die in diesem Nationalstaat (und eben nicht in Globalistan) zu realisierenden Rechte des Arbeiters bereits vom Ansatz her fern stand.
Es gehört zur Tragik der deutschen Linken, daß das Lassalle‘sche Ideal eines allein in autochthonem Rahmen zu verwirklichenden Sozialismus nach seinem frühen Tod 1864 mehr und mehr von einem volkvergessenen Dogmatismus überwuchert wurde, in dem der spiritus Marxii purus und nicht der deutsche Geist den Ton angab.5 Über das Lassalle’sche Credo, daß die soziale Frage des industriellen Zeitalters in erster Linie ethisch und dann erst wirtschaftlich zu beantworten sei, schien die historische Entwicklung spätestens mit der 1875 in Gotha vollzogenen „Aufsaugung der Lassalleaner durch die Marxisten“6 hinweggegangen zu sein. Die Liaison zwischen Nation und Sozialismus war danach einstweilen beendet. Mit ihren deutschen Satrapen Liebknecht und Bebel entwickelten Marx und Engels von der anderen Kanalseite aus konsequent einen staatsfeindlichen7 Marxismus, der den deutschen Arbeiter in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg nach und nach von der eigenen Nation entfremdete.
Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches 1918 und dem die Deutschen knechtenden Versailler Diktat 1919 waren die Anfänge republikanischer Staatlichkeit von Anfang an von dunklen Wolken verhangen. Dieses düstere Szenario hellte sich auch in der Folge – trotz einer sich ökonomisch leicht verbessernden Zwischenphase von 1924 bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 – nicht auf. In diesem äußerlich fragilen Rahmen der Weimarer Republik entfaltete sich für Hermann Heller eine wissenschaftliche Karriere, die ihn von Stationen in Kiel, Leipzig, Berlin über einen halbjährigen Studienaufenthalt im faschistischen Italien bis zur 1932 endlich erreichten Ordinarienstelle für Öffentliches Recht in Frankfurt/Main führte. In diesem knapp bemessenen Zeitraum von wenig mehr als einem Jahrzehnt entwickelte er ein staatsrechtliches und rechtsphilosophisches Werk, das wegen seiner Wiederanknüpfung an die Lassalle’sche Symbiose von Nation und Sozialismus und wegen seines brillanten Stils in der deutschen Staatslehre des 20. Jahrhunderts ohne Beispiel dasteht.
Für den Kenner nicht überraschend ist zunächst, daß Heller mit Carl Schmitt, seinem berühmten Antipoden beim Preußenschlag-Prozeß vor dem Reichsstaatsgerichtshof in Leipzig im Herbst 1932, inhaltlich, gerade in bezug auf die Topoi Staat, Volk und Nation, mehr verbindet als trennt. Die Parallele beginnt mit der übereinstimmenden Ablehnung von Hans Kelsens „Nomokratie“8, gegen die sich Heller mit der Argumentation wendet, die Staatslehre dürfte sich nicht von der Soziologie isolieren: „Rechtswissenschaft … harmonisiert soziale Gegebenheiten, insbesondere die staatliche Ordnung, sie konstituiert sie aber nicht, sondern findet sie bereits vor.“9 Die Gemeinsamkeiten mit Schmitt setzen sich fort in Hellers Gegenposition zu der angelsächsisch dominierten Interessenphilosophie des 19. Jahrhunderts, die den geistigen und seelischen Horizont des Menschen in Verkennung seiner Natur auf das Ökonomische verkürzen wolle. Wirtschaft sei, so Heller, „nur eine neben anderen Kulturbetätigungen des Menschen“10 und „die stärksten und dauerndsten menschlichen Vergemeinschaftungen beruhen nicht auf organisatorischer, zweckbewußter Interessenverbindung, sondern haben einen organischen, naturhaften Kern. Die wichtigsten naturhaften Bindungen, welche die Menschen ohne ihr Zutun zusammenführen und von anderen absondern, sind … die Abstammung und die Landschaft. Beide bilden auch natürliche Grundlagen der Nation.11 Die Adam Smith’sche „Metaphysik des sacro egoismo“12 gehe an der soziologischen Realität, an dem Leben des Menschen in tradierten und emotional determinierten Gemeinschaftsgefügen, vorbei:
„Zum Teufel mit diesen wirklichkeitsfremden Gespenstern ohne Instinkt und Gefühl, ohne Mark und Bein! Die Menschheit gliedert sich in Gesamtheiten, die jeden Tag auseinanderfallen müßten, wenn ihr einziger oder auch nur ihr wesentlicher Kitt das vernünftige Interesse wäre. So sicher uns die sittliche Vernunftidee des Sozialismus aufgegeben ist, so sicher wird sie nur an und in Gemeinschaftskörpern verwirklicht werden, die durch feste, Jahrtausende alte Lebensordnungen zusammengehalten sind. Solange wir nicht wandelnde Geister, sondern Menschen von Fleisch und Blut sind, wird das Rationale nur getragen werden vom Irrationalen, werden Organisationen nur dann Bestand haben, wenn sie äußerer Ausdruck, letztes Vorwerk einer durch Blut, Boden, irrationale Gefühlswerte, Geschichte, gemeinsamen Kulturbesitz verbundenen Gemeinschaft sind.“13
Weitgehend identisch sind die Demokratieanalysen Schmitts und Hellers schließlich in Bezug auf die überragende Rolle, die beide der sozialen Homogenität für die politische Einheit eines Volkes zumessen. Unter Homogenität versteht Heller einen „sozial-psychologische(n) Zustand, in welchem die stets vorhandenen Gegensätzlichkeiten und Interessenkämpfe gebunden erscheinen durch ein Wirbewußtsein und -gefühl, durch einen sich aktualisierenden Gemeinschaftswillen.“14 Die soziale Homogenität fächere sich auf in anthropologische, kulturelle, religiöse und ökonomische Elemente15, die quasi den politischen Nenner eines Staates verkörpern. Dessen ungeschriebene Autorität beruhe nicht auf Diktaten „von oben“, sondern auf demokratischen Harmonisierungsprozessen, deren Wirkkraft sich – entsprechend Renans plébiscite de tous les jours – allein „von unten“ entfalten könne. Schwinde dieses Homogenitätsbewußtsein, könne sich das Volk im Staat nicht mehr wiedererkennen und mit dessen Repräsentanten nicht mehr identifizieren. Denn Parlamentarismus sei „nicht der Glaube an die öffentliche Diskussion als solche, sondern der Glaube an die Existenz einer gemeinsamen Diskussionsgrundlage“16. Entfalle diese Plattform, sei eine einheitliche politische Willensbildung nicht mehr möglich; die bis dahin nur parlierende Partei werde dann zur diktierenden Partei: „In diesem Augenblick ist die Einheit gespalten, sind Bürgerkrieg, Diktatur, Fremdherrschaft als Möglichkeiten gesetzt.“17 Heller leugnet nicht „die ewig antagonistische gesellschaftliche Vielheit“ in einem Staat18. Er leitet vielmehr aus diesen zentrifugalen Tendenzen die Hauptaufgabe der Staatslehre dahingehend ab, daß die „individuellen Willen zur Wirkungseinheit eines Gemeinwillens“19 zentripedal zusammenzuführen seien. Politik sei – so Heller weiter – die „Organisation von Willensgegensätzen aufgrund einer Willensgemeinschaft“20. Dem Staat komme dabei die Aufgabe zu, „das geordnete Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Handlungen auf einem bestimmten Gebiet in letzter Instanz (zu sichern).“21
Wendet man sich nun der Frage zu, wer nach Hellers Ansicht den Staat verkörpern und von welchem Ordnungsgefüge dieser Staat geprägt sein soll, so stechen in seinem Werk die Begriffe Volk, Nation und Sozialismus hervor, die daher nachfolgend näher betrachtet werden sollen:
1. Volk
Ganz in Hegel‘scher Tradition verankert, begreift Heller den „Staat als Volkspersönlichkeit“22, wobei der – zu organisierende – Staatswille viel mehr sei als der organische, gleichwohl von Gegensätzen gekennzeichnete Volkswille.23 Das Volk stelle im 20. Jahrhundert keine ursprüngliche Abstammungsgemeinschaft mehr dar, sondern sei im Laufe der Zeit „aus rassisch und ethnisch sehr verschiedenen Stämmen zusammengewachsen.“24 Gleichwohl bilde das Volk „auf die Dauer doch einen physischen Generationenzusammenhang“25, wobei es darauf ankomme, daß der objektiv gegebene Volkszusammenhang – in Sprache, Kultur, Religion und Politik – „subjektiv aktualisiert und gelebt werden muß, damit er Wirklichkeit werde“.26 Das Volk ist dennoch nach Hellers Verständnis „durchaus kein rein geistiges Wesen“27; die romantische Lehre von der ursprünglichen Volksgeistsubstanz verkenne den „grundsätzlichen Dualismus von Staat und Volk“28 und gehöre „in das Reich schlechter Metaphysik“29. Volkszugehörigkeit sei regelmäßig „eine Wesensprägung, die im Unwillkürlichen begründet ist und durch einen bloßen Bewußtseinsakt weder zu erwerben noch zu verändern ist.“30 Auf der anderen Seite betont Heller, daß ohne subjektivische Elemente,
– ohne „das Bewußtsein (des Volkes) von seiner Eigenart und
damit von seiner Verschiedenheit andern Völkern gegenüber“31 und
– ohne das „willentliche Einstehen für dieses Volk mit
seinen Vorzügen und … auch mit seinen Fehlern“32,
ein Wirgefühl, eine „Volksgemeinschaft“33, nicht entstehen könne.
2. Nation
Sei ein Kulturvolk als solches zunächst „politisch amorph“34, so könne es zu einer Nation werden „dadurch, daß es sein Zusammengehörigkeitsbewußtsein zu einem politischen Willens-zusammenhang entwickelt.“35 Ein „bloß ethnische(s) Gemein-samkeitsgefühl“ sei für eine solche Konstituierung einer Nation nicht ausreichend.36 Das könne man z.B. an den Deutschschweizern oder den Elsässern sehen, die zwar „in den geistigen Überlieferungszusammenhang des deutschen Volkes einbezogen“ seien37, aber gleichwohl nicht zur deutschen Nation zählten. Heller stellt den voluntaristischen Gesichtspunkt bei der Nationwerdung in den Vordergrund: „Erst wenn ein Volk seine Eigenart durch einen relativ einheitlichen politischen Willen zu erhalten und auszubreiten strebt …, sprechen wir von einer Nation“38. Die Nation sei nicht nur „ein Staatsbildungsprinzip von hervorragendster politischen Bedeutung“39, die Nation sei daneben „die notwendige Erscheinungsform des Sozialismus“40.
3. Sozialismus
Wirklich originell wird Hellers Staatslehre dadurch, daß er die gewachsenen politischen Größen Volk und Nation in untrennbare Verbindung setzt zu seinen sozialistischen Idealen. Die Dominanz der Wirtschaft, von der spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts fast alle anderen Lebensbereiche gekennzeichnet seien, habe eine Seelenlosigkeit und eine ichfixierte und vernutzte Welt hervorgebracht, die der Natur des Menschen als gemeinschaftsorientiertem Wesen widerspreche. Der liberalistisch-individualistisch geprägte Zeitgeist als dem ewigen Begleiter materialistischer Geschichtsepochen habe einen „Neo-Machiavellismus eines desillusionierten Bürgertums“41 entstehen lassen, in dem Heller den Feind erkennt: „Der Sozialismus kämpft deshalb gegen den Geist der kalten Rechenhaftigkeit, der die heutigen Gegenseitigkeitsbeziehungen völlig beherrscht. Der Sozialismus ist der Ausdruck der tiefen, im Menschengeschlecht nie ersterbenden Sehnsucht nach Verinnerlichung des Verhältnisses von Mensch zu Mensch; er ist im letzten der Wunsch nach Umgestaltung der äußeren Gesellschaft in innere Gemeinschaft.“42 In Lassalle’scher Tradition stehend, lehnt Heller den internationalistischen Geltungsanspruch eines Marxismus ab, der in seiner Ortlosigkeit43 auf gespenstische Weise seinem ideologischen Widersassen, dem Kapitalismus, ähnele. Ein solcher – im wahrsten Sinne des Wortes – bodenloser Marxismus offenbare in seinen Schriften ein „erstaunliche(s) Staatsunverständnis“44 und verkenne, „daß wirklicher Sozialismus nicht in der Luft, sondern in einer bestimmten Gemeinschaft, auf einem bestimmten Erdenfleck gebaut (werde)“45. Nation und Sozialismus seien keine Gegensätze, sondern müßten zur Herstellung der „sozialen Volksgemeinschaft“46 ideengeschichtlich zusammengeführt werden: „Die Nation ist eine endgültige Lebensform, die durch den Sozialismus weder beseitigt werden kann noch beseitigt werden soll. Sozialismus bedeutet keineswegs das Ende, sondern die Vollendung der nationalen Gemeinschaft, nicht die Vernichtung der nationalen Volksgemeinschaft durch die Klasse, sondern die Vernichtung der Klasse durch eine wahrhaft nationale Volksgemeinschaft.“47 Der Zwietracht, die der marxistische Klassenkampf im Volk geschürt habe, müsse durch den Rekurs auf die Nation der Nährboden entzogen werden: „Die Parole des Klassenkampfes kann nur lauten: Klasse muß Nation werden! Nicht aus der Nation heraus, sondern in die Nation hinein wollen wir uns kämpfen! Der Sozialismus ist seinem Ziel um so näher, je näher die Arbeiterklasse der Nation gerückt ist. Sie kann und darf in die Nation nicht eintreten als kleinbürgerliches Anhängsel der kapitalistischen Lebensform. Ihre weltgeschichtliche Bestimmung ist es, in der Nation die sozialistische Idee zu verwirklichen.“48 Auch in größerem Rahmen internationaler Organisationen könne Deutschland nur wirken, „wenn wir als Nation geeint und frei dastehen“49. Mit einem Appell, den die heutigen Eurokraten in Brüssel wohl als „europafeindlich“, als orbanesk abkanzeln würden, faßt Heller ein Weltbild zusammen, in dessen Zentrum die deutsche Nation steht, das aber gleichwohl an übergeordneten humanitären Zielen festhalten will: „Wir deutschen Sozialisten haben das stärkste Interesse daran, die nationale Selbstbestimmung des deutschen Volkes innerhalb einer europäischen Völkerorganisation gesichert zu sehen. … Uns ist die Nation kein Durchgangspunkt zu einem kulturlosen Menschenbrei, sondern die schicksalsgebundene Lebensform, in der wir an den übernationalen Zwecken der Menschheit allein mitarbeiten können und wollen.“50
IV.
Hermann Heller blieb es verwehrt, sein geistiges Werk zu vollenden und sein politisches Ideal, die Versöhnung von Nation und Sozialismus, zu verwirklichen. Als volksbewußter deutscher Jude erlag er im Madrider Exil im Alter von nur 42 Jahren den Folgen eines Herzleidens, das er sich als Kanonier an der galizischen Front im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte. Viele seiner Schriften wurden 1933 ein Opfer der Flammen; die nicht verbrannten Bücher Hellers wurden nach 1945 ganz überwiegend ein Opfer der Volksvergessenheit in den fremdbestimmten Scheinstaatsgebilden DDR und BRD.51 Im heutigen bundesdeutschen Wissenschaftsbetrieb, in dem eine „seelenlose Vielwisserei“ (Hugo von Hofmannsthal) herrscht und in dem „Registrierfrösche mit kalt gestellten Eingeweiden“ (Friedrich Nietzsche) den Ton angeben, können Hermann Heller und sein Werk als weitgehend vaporisiert angesehen werden. So lautet der Fachausdruck in Orwells „1984“ für die Auslöschung widerspenstiger Geister aus dem kollektiven Gedächtnis post mortem.
Angesichts dieses Befundes ist es umso mehr zu begrüßen, daß es der Jungeuropa Verlag nunmehr unternimmt, die vielleicht wirkmächtigste Schrift Hellers neu aufzulegen. „Sozialismus und Nation“ geht zurück auf das Hauptreferat „Nation, Staat und Sozialdemokratie“, das er vor der dritten Reichskonferenz der Jungsozialisten Ostern 1925 in Jena gehalten hatte.52 Die Erstauflage der Schrift erschien noch in demselben Jahr im Arbeiterjugend-Verlag; die Veröffentlichung der zweiten Auflage erfolgte im Ernst Rowohlt Verlag 1931, also in der Endphase der ersten deutschen Republik, in der das Bürgerkriegsgeschehen die politische Debatte mehr und mehr zu überschatten begann.
V.
Was bleibt von Heller in Zeiten wie diesen, in denen die soziologische Größe „Arbeiter“ nurmehr eine aussterbende Spezies und die Metamorphose der Arbeiterbewegung zur get together party ortloser Intellektueller abgeschlossen zu sein scheint? In Zeiten eines repräsentativen Konsums, in denen der freizeitentfesselte bourgeois die Szenerie bestimmt, während der citoyen seine staatsprägende Kraft verloren hat und froh sein kann, wenn er von den catilinarischen Existenzen, die dieses Land heute beherrschen, keine Prügel bezieht? In Zeiten, in denen sich der Leviatan an der kurzen Leine der pressure groups herumzotteln läßt und der staatliche Ordnungsanspruch nach und nach unter die Räder der Interessen geraten ist? In Zeiten, in denen die Wortsymbiose aus Nation und Sozialismus ihren einstigen politischen Eros verloren hat und bei den umerzogenen Deutschen, die ein pathologisches Verhältnis zu ihrer Geschichte pflegen, allenfalls noch Angstschweißperlen hervorzubringen in der Lage ist?
Wer nach bündigen Antworten auf diese Fragen sucht, kommt um eine Befassung mit den programmatischen Dilemmata der Rechten und der Linken kaum herum. Das Paradoxon der Rechten bestand seit jeher darin, die Beseitigung des politischen
(Links-)Liberalismus anzustreben, um im gleichen Atemzug den Wirtschaftsliberalismus und eben auch den Kapitalismus gegen Angriffe von links zu verteidigen.53 Das Dilemma der Linken ist und bleibt eine ausgeprägte Demophobie und damit eine inzidente Kampfansage gegen die eigen(tlich)e politische Geschäftsgrundlage. Diese Volksfremdheit hat sich zwischenzeitlich zu einer vollständigen dogmatischen Blindheit gegenüber dem Schicksal der Globalisierungsverlierer ausgewachsen. Das politische Kapital, das sich dort in dem vergangenen Jahrzehnt aufgehäuft hat und für das wir immer noch nach der richtigen soziologischen Begrifflichkeit suchen, ist der Linken keines Blickes (mehr) würdig. Sie hat das Volk aufgegeben und sich mit den Liberalindividualisten ins flauschige Bett gelegt. Eingehüllt in Worthülsen, bei denen sich bisweilen Dümmlichkeit mit subkutaner Aggressivität paart („Menschenrechte statt rechte Menschen“), verfrühstückt man dort einträchtig die noch verbliebenen Reste deutscher Substanz. Diese Mesalliance der Linken mit den Davosmenschen und ihrem geldfixierten Individualismus hat indes einen hohen politischen Preis: den Verlust des Vertretungsanspruchs für diejenigen, die einem elementaren ökonomischen Existenzkampf ausgesetzt sind, die der „Unterm-Strich-zähl-ich“-Gesellschaft des Westens den Rücken zugewendet haben und die nach neuen Wegen einer Gemeinschaftsorientierung für Familie, Volk und Staat suchen. An dieser Nahtstelle offenbart sich die Aktualität Hellers wie von selbst.
Die Gretchenfrage der kommenden Jahre lautet nämlich: Ist die oppositionelle Rechte in Heller’schem Geist fähig und willens, zum Zwecke der Zuspitzung der eigenen Programmatik an das verratene Erbe des nicht-internationalistischen deutschen Sozialismus vor 1933 anzuknüpfen? Nichts anderes hatte Oswald Spengler im Sinn, als er in den Räterepublikwirren 1919 den Versuch unternahm, den Begriff des Sozialismus der Linken zu entreißen und ihn preußisch aufzuladen:
„Preußentum und Sozialismus (sind) dasselbe. … (Sie) stehen gemeinsam gegen das innere England, gegen die Weltanschauung, welche unser ganzes Leben als Volk durchdringt, lähmt und entseelt. … Die Arbeiterschaft muß sich von den Illusionen des Marxismus befreien. … Der Sinn des Sozialismus ist, daß nicht der Gegensatz von reich und arm, sondern der Rang, den Leistung und Fähigkeit geben, das Leben beherrscht. Das ist unsre Freiheit, Freiheit von der wirtschaftlichen Willkür des einzelnen … Sozialismus bedeutet Können nicht Wollen. Nicht der Rang der Absichten, sondern der Rang der Leistungen ist entscheidend. … Wir sind Sozialisten. Wir wollen es nicht umsonst gewesen sein.“54
Es versteht sich von selbst, daß bei einer solchen politischen Operation genau geprüft werden muß, welche Elemente i.e. von links nach rechts transplantiert werden können, ohne daß das Ganze Schaden nimmt.55 Wilde Enteignungsphantasien z.B., wie sie in den 1920er Jahren nicht selten waren, erscheinen kaum tradierungswürdig, während beispielsweise die Heller’sche Forderung nach einem Primat des Staates gegenüber den Machtavancen der Verbände aktueller denn je ist. Ob der Begriff des Sozialismus56, der auch bei Heller an vielen Stellen schemenhaft bleibt, angesichts der kommunistischen Verwüstungen des 20. Jahrhunderts noch recyclebar ist, erscheint ebenso zweifelhaft wie unwesentlich. Denn entscheidend ist allein die inhaltliche Qualität politischer Ordnungsangebote. Und deren Verwendbarkeit hängt nicht davon ab, unter welchen Schlagworten sie gemeinhin rubriziert werden. Gerade in dem immer mehr in den Bereich des Möglichen rückenden – nicht nur ökonomischen – Ernstfall, wenn der bereits heute stark erodierende polit-mediale Überbau delegitimiert sein und die obszöne Güterfülle der Jetztzeit ihre benebelnde Kraft verloren haben wird, wird es um ganz anderes gehen als um Begriffskriege. In einer solchen unübersichtlichen Lage wird derjenige politisch das Rennen machen, der das Dickicht überkommener Begrifflichkeiten durchstößt und – jenseits von links und rechts – die Idee der (europäischen) Nation(en) neu erfindet. Vulgärmarxistischer Jargon, gesinnungsethisches „Solidaritäts“tamtam und neidgesteuerte Umverteilungsexzesse sind für die Beschreitung dieser neuen Wege ebenso entbehrlich wie das hohle Markt- und „Freiheits“krakeele der ins Ich und die „ganze ökonomische Scheiße“57 verliebten Libertären, die – wie die 68er58 – nie etwas anderes waren und sind als die nützlichen Idioten der real existierenden Davokratie (Renaud Camus).
In der deutschen Ideengeschichte waren es nicht selten Wanderer zwischen verschiedenen Geisteswelten, die im Hegel’schen Sinne frühere historische Stufen aufgehoben und neue Horizonte eröffnet haben. In politicis gehören linke Leute von rechts, wie z.B. Ernst Niekisch oder rechte Leute von links, wie eben Hermann Heller oft zu den originellsten Köpfen. Wenn die Mauer der westlichen Lebenslügen fällt, werden wir auf deren Esprit und deren analytische Schärfentiefe nicht verzichten können.
Anmerkungen:
1 Zitiert nach: Hermann Oncken, Lassalle – Eine politische Biographie, Stuttgart und Berlin 1920, S.196.
2 Ferdinand Lassalle, Die Wissenschaft und die Arbeiter (1863), Berlin 1919, S.31.
3 Lassalle über Marx, zitiert nach Hellmut Diwald, Geschichte der Deutschen (1978), 4. Aufl., Frankfurt am Main u.a. 1979, S.368.
4 Zitiert nach Oncken aaO S. 168 + 350.
5 Vgl. i.e. Werner Sombart, Sozialismus und soziale Bewegung, 6. Aufl., Jena 1908, S.183 ff.; Ernst Nolte, Marxismus und industrielle Revolution, Stuttgart 1983, S.379 ff.
6 Oncken aaO S.495.
7 Daß der Begriff der Vaterlandslosigkeit des in London ersonnenen Marxismus durchaus wörtlich zu nehmen ist, belegen die landesverräterischen Geheimkontakte des SPD-Vorsitzenden August Bebel zu dem britischen MI6 vor dem Ersten Weltkrieg, die im bundesdeutschen Geschichtsbetrieb unter der Rubrik „Friedensförderung“ gewürdigt werden; vgl. dazu die Studie des Fritz-Fischer-Schülers Helmut Bley, die unter dem euphemistischen Titel „Bebel und die Strategie der Kriegsverhütung 1904 – 1913“ 1975 in Göttingen erschienen ist.
8 Hermann Heller, Genie und Funktionär in der Politik (1930), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1 – 3, Leiden 1971, hier: Bd. 2, S.616.
9 Hermann Heller, Die Krisis der Staatslehre (1926), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, S.8, 24.
10 Hermann Heller, Sozialismus und Nation (1925), 2. Aufl., Berlin 1931, unveränderter Neudruck Dresden 2019, S.57.
11 Heller, Sozialismus und Nation ebd. S.21.
12 Hermann Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland (1921), unveränderter Neudruck Aalen 1963, S.129.
13 Heller, Sozialismus und Nation ebd. S.53.
14 Hermann Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, S.428.
15 Ebd. S.433.
16 Ebd. S.427.
17 Ebd. S.428.
18 Hermann Heller, Europa und der Faschismus (1929), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, S.467.
19 Hermann Heller, Die Souveränität (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, S.105.
20 Hermann Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S.166; gegen Schmitts berühmte Freund-Feind-Politikdefinition, die wesentlich außenpolitisch bestimmt ist, hatte Heller auf der innenpolitischen Ebene daran erinnert, daß „Politik (komme) von polis, nicht von polemos, wenn auch die Gemeinsamkeit der Sprachwurzel bedeutsam bleibt.“ (Politische Demokratie und soziale Homogenität, ebd. S.425).
21 Heller, Sozialismus und Nation S.55.
22 Heller, Hegel, S.106.
23 Heller, Staatslehre, S.164 ff.
24 Ebd. S.158; rassetheoretische Politikkonzepte lehnte Heller nicht nur grundsätzlich ab (Staatslehre ebd. S.148 – 159), er maß darüberhinausgehend „dem Rassenglauben die allergrößte Bedeutung für die völlige Zersetzung der nationalen Kulturgemeinschaft und politischen Volkseinheit“ zu (Staatslehre ebd. S.156).
25 Heller, Staatslehre, S.159.
26 Ebd. S.160.
27 Ebd. S.158.
28 Ebd. S.164.
29 Ebd. S.161.
30 Ebd. S.160.
31 Ebd. S.161, Hervorhebung nicht i.O.
32 Ebd. S.160 f.; H. nicht i.O.
33 Ebd. S.161.
34 Ebd. S.161.
35 Ebd. S.161.
36 Ebd. S.161.
37 Ebd. S.161.
38 Ebd. S.161.
39 Heller, Sozialismus und Nation, S.55.
40 Heller, Sozialismus und Nation, S.44.v
41 Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, S.429.
42 Heller, Sozialismus und Nation, S.12.
43 Zu der Ortlosigkeit des Marxismus grundlegend: Hans-Dietrich Sander, Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie (1970), 2. Aufl., Tübingen 1975, S.291 – 360 sowie ders., Die Auflösung aller Dinge, München 1988, insbes. S.96 ff. Zu der Ortlosigkeit des Kapitalismus, in dem die anywhere-Nomaden mit ihren tragbaren Identitäten den Ton angeben und in dem die somewhere-Seßhaften mit ihrer Verwurzelung in der Heimat das Nachsehen haben (sollen): David Goodhart, The Road to Somewhere – The Populist Revolt and the Future of Politics, London 2017, insbes. S.19 ff., 221 ff.
44 Heller, Sozialismus und Nation, S.55.
45 Ebd. S.52.
46 Ebd. S.77.
47 Ebd. S.38.
48 Ebd. S.46.
49 Ebd. S.101.
50 Ebd. S.101.
51 Kennzeichnend hierfür ist die Tatsache, daß sowohl Hellers aus dem Nachlaß herausgegebenes Hauptwerk „Staatslehre“ (1934), als auch die dreibändige Gesamtausgabe seines Werks „Gesammelte Schriften“ (1971) in einem niederländischen Kleinstverlag in Leiden erschienen ist.
52 Otto-Ernst Schüddekopf, Linke Leute von rechts, Stuttgart 1960, S.171; diese Konferenz wiederum stand in der Tradition des sog. „Hofgeismarkreises der Jungsozialisten“, der sich Ostern 1923 auf einer Tagung in Hofgeismar konstituiert hatte, bei der u.a. auch Heller gesprochen hatte und „die mit einem Bekenntnis zu Deutschland am Osterfeuer schloß“ (Schüddekopf ebd. S.71).
53 So auch Panajotis Kondylis, Konservativismus, Stuttgart 1986, S.505.
54 Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, München 1919, S.98f.; H.i.O.
55 So auch Benedikt Kaiser, Marx von rechts?, in: ders./Alain de Benoist/Diego Fusaro, Marx von rechts, Dresden 2018, S.45, 59 und passim. Zu recht erinnert Kaiser auch an die „Ausgangslegitimation“ der Oktoberrevolution 1917 (ebd. S.49 mit Fn 58), die ohne die schwerwiegenden sozialen Verwerfungen im Vorkriegsrußland ebensowenig einen politischen Nährboden gefunden hätte wie die Hitlerbewegung ohne Versailles im Nachkriegsdeutschland.
56 Wie schillernd und problematisch der Begriff des Sozialismus schon vor 85 Jahren war, belegt: Werner Sombart, Deutscher Sozialismus, Berlin 1934, insbs. S.44 – 80 sowie S.120 ff. Sombarts Unterfangen, den NS-Tiger zu reiten und „die offenbar starken Kräfte, die einer Vollendung der nationalsozialistischen Idee nach ihrer sozialistischen Seite hin zustreben, in Bahnen zu lenken, in denen sie nicht verheerend, sondern befruchtend sich auswirken können“ (Deutscher Sozialismus ebd., S.XVI), kann als grandios gescheitert betrachtet werden. Die rassefixierten Ideologen à la Rosenberg e tutti quanti wollten gar nicht vordekliniert bekommen, was sie als Nation und als Sozialismus aufzufassen hätten und was nicht. Immerhin hatte Sombart als gesettelter Emeritus des Jahrgangs 1863 im Sommer 1934, kurz nach der Ausschaltung der führenden NS-Sozialisten („Röhm-Putsch“), den Mut, öffentlich den ideologischen Vorgaben eines Regimes zu widersprechen, das gerade unter Beweis gestellt hatte, daß ihm auch andere Disziplinierungsmaßnahmen als „Berufsverbote“ o.ä. zu Gebote stehen (vgl. i.e.: Friedrich Lenger, Werner Sombart [1994], 2. Aufl., München 1995, S.366 ff.). Nach Professoren solchen charakterlichen Zuschnitts kann man im heutigen Deutschland lange suchen.
57 Karl Marx dixit, Brief vom 2.4.1851 an Friedrich Engels, in: Karl Marx – Friedrich Engels, Der Briefwechsel, Bd. 1, München 1983, S.180.
58 Zur Instrumentalisierung der deutschen Linken nach 1945 als „ein(em) Strategem der Besatzungsmächte zur Niederhaltung des deutschen Volkes“ vgl. die leider wenig angestaubte Analyse von Hans-Dietrich Sander, Die Theatrokratie als höchstes Stadium des Weltbürgerkrieges, in: Jean Baudrillard, Die göttliche Linke, München 1986, S.143 ff.
Für mich stellt sich die Frage, worin genau der intellektuelle Mehrwert in einer Bezugnahme auf Hermann Heller liegen soll?
Wenn wir sagen, wir sind für einen „Nationalen Sozialismus“, dann kommt sicherlich die Antifa usw. und sagt, wir seien „Nazis“, weil ja Hitler scheinbar „Nationalsozialist“ gewesen war. Kritische Linke, aber auch Rechte, hätten mal zu hinterfragen, ob Hitler wirklich „national“ und „sozialistisch“ mit seiner großrassischen Marktwirtschaft gewesen war?
Nun ja, Hermann Heller, der als deutscher Jude von Hitler rassisch verfolgt wurde, kann kein „Nazi“ gewesen sein!
Heller war allerdings – genauso wenig wie Hitler – wirklich Sozialist, sondern Sozialreformer. Wenn wir eine sozialrevolutionäre Ausrichtung wollen, können wir uns weder auf Hitler noch auf Heller – in dem Punkt! – beziehen. Übrigens auch nicht auf Ferdinand Lasalle.
Beim Volksbegriff, den Heller sehr wohl vertrat, können wir so argumentieren, dass der deutsche Jude Heller damit kein Problem hatte, während heutige deutsche Philosemiten, die über die reinsten Stammbäume verfügen, im Volksbegriff Nazi-Ideologie erblicken wollen, was Unsinn ist.
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Sozialreformer und Sozialrevolutionäre können niemals immer als getrennte Blöcke betrachtet werden, da es immer fließende Übergänge in beide Richtungen gibt und auch der Sozialreformer ja nicht statisch für immer in seiner Position verharrt. Im Gegenteil kann zukünftig ja wieder davon ausgegangen werden, dass die Zuspitzung der Krise, die verstärkt alle Bereiche unseres Lebens betrifft, ja mehr alternatives und radikales Denken fördert. Klar, es gibt auch Rückläufer , die in die entgegengesetzte Richtung gehen. Aber das sind meist jene, die im jugendlichen Alter gleich mit 100 Prozent gestartet sind und sich in einem naiven Optimismus verrannt haben und dann erstmal einige Schritte zurück gehen müssen und wieder Anlauf nehmen.
Man sollte es auch mit Ernst von Salomon halten, der in seinem „Fragebogen“ die Frage nach der (einen) Wahrheit stellte und zu dem ausführenden Gedanken kam, dass es nie nur die eine Wahrheit, sondern nur Wahrheiten gibt, die sich auch aus Gegensätzen zusammen setzt.
Er erwähnte Karl Marx und seine materialistische Geschichtsbetrachtng und stellt ihm die idealistische Geschichtsbetrachtung eines Friedrich Schiller gegenüber. Beide haben Recht und bilden jeweils einen Teil der Wirklichkeit ab.
Also kann die Frage auch umgekehrt gestellt werden: Warum enthält diese Lektüre keinen (intellektuellen) Mehrwert? Vielleicht wird einem heutigen Sozialdemokraten beinahe schwindelig bei der Lektüre. Auf jeden Fall wird dem Rechten die Lektüre nicht schaden und hilft ihm die „zerbrochene Brücke zum Sozialismus“(George Sorel) wieder begehbar und überquerbar zu machen.
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Sie glauben, man komme über eine Sozialreform, die man unzutreffend „Sozialismus“ nennt – siehe oben Zwischentitel „3. Sozialismus“ -, leichter zum Sozialismus? Ein Blick ins „NS“-Spektrum – damals wie heute – läßt in mir Zweifel aufkommen. Während in diesem Bereich oftmals mit dem Bauch gedacht wird, kann man von Akademikern aus dem Bereich der NR erwarten, mit Begriffen sorgfältiger umzugehen.
Schon nach dem WK I gab es eine Inflation an Pseudo „Nationaler Sozialismus“, gedacht als „Volksgemeinschaft“ mit dem dt. Kapital. Ich glaube nicht, daß dies heute noch interessant ist.
Zu fragen wäre auch, ob es noch einen Boden gibt, auf dem Sozialreformen durchzusetzen wären. Die Bourgeoisie hat den Nationalstaat als Voraussetzung für den Sozialstaat aufgegeben. Der Sozialstaat kann noch eine Weile repariert werden – wie sich dies auch die AfD in Thüringen wünscht -, er wird aber dauerhaft nicht mehr zu halten sein, demographisch, bevölkerungspolitisch, wegen der Digitalisierung usw. Das sind alles nur Beruhigungspillen.
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Vorweg möchte ich betonen, dass ich mich nicht als Sozialreformer verstehe. Es kann aber nie ausgeschlosssen werden, dass auch über (radikale) Reformen eine revolutionäre Umgestaltung erreicht werden kann. Politik hat immer auch mit „Machbarkeit“ zu tun, der auch jeder Revolutionär irgendwie unterworfen sein wird.
Rosa Luxemburg hatte die vermeintlichen Gegensätze von Revolution und Realpolitik dialektisch aufgehoben und die Synthese der revolutionären Realpolitik gebildet. Viele der Gedankengänge sollten heute neu aufgegriffen und angepasst werden. Sie helfen dabei uns in eine bessere Beziehung zur Tages und Realpolitik zu setzen und schärfen den taktisch-strategischen Blick der auf die AFD gerichtet ist. Alles nur von der Revolution her zu denken führt in die Verzweiflung, die mal gelegentlich in lächerlichen Optimismus ausschlägt, weil man mal wieder seine 17 Gefährten zusammenbekommen hat und sich das Hinterzimmer mit tollen Ideen füllt.
Sie haben vielleicht zu hohe Erwartungen an ein historisches Werk, welches uns nur als Baustein dienen, aber keinen „Sozialismus“ für die heutige und zukünftige Zeit bieten kann. Die Grundsubstanz von Hellers Ideen würde ich allerdings sogar als zeitlos ansehen. Am Gemeinwohl orientiert, der kommunitaristische Gedanke, der ein von oben durchgesetztes Zwangskollektiv ebenso ausschließt, wie den Vorrang des Individuums und somit eine lebendige Wechselbeziehung zwischen Gemeinschaft und Persönlichkeit anstrebt. Das wäre der Minimalkonsens, darauf kann man aufbauen.
Wo hört die Sozialreform auf, wo fängt der Sozialismus an, wie kann der Neurechte oder Nationalrevolutionär den Sozialismus begreifen oder definieren? Viele Fragen und viele Antworten türmen sich auf. In einer Zeit der Machbarkeit werden sich die richtigen Fragen und Antworten schon einstellen. Davon sind wir aber mehr als weit entfernt. Also lasst uns an der programmatische Zuspitzung arbeiten. Nicht nur durch Heller, aber mit ihm.
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Der Kipp-Punkt zum Sozialismus – von einer sozialen Marktwirtschaft (sozialstaatlicher Kapitalismus) aus – könnte von der Wiedereinführung der Vermögensteuer, der Erhöhung der Erbschaftsteuer und einem bundesweiten Mietendeckel erfolgen.
Die AfD ist gegen die Einführung der Vermögensteuer, für die Abschaffung der Erbschaftsteuer und gegen einen Mietendeckel.
Die AfD ist eine rechtspopulistische Partei, die jedem alles verspricht: steuerliche Entlastung der Unter- und Mittelschichten – soweit richtig -, und Entlastung der Ober- und Oberstschichten. Schließlich braucht man die erste Gruppe als Wähler und Fußtruppen (Parteiarbeit) und die zweite als Spender und Meinungsmacher (rechtsbürgerliche Medien).
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Da kann ich Ihnen nicht widersprechen.
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